Zum ersten Mal in Deutschland: Eltern spenden ihrem Kind Teile der Lunge Operation in der MHH verläuft erfolgreich / Lebendspende nötig, weil Spenderorgane fehlen
Deutsche Premiere: Chirurgen der Medizinischen Hochschule Hannover haben zum ersten Mal eine Lebend-Lungenspende durchgeführt. Ein elfjähriger Junge hat in einer aufwändigen Operation je einen Lungenlappen der Mutter und des Vaters erhalten. „Marius und seinen Eltern geht es gut“, sagt Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie. Marius leidet an Mukoviszidose. Da wegen der mangelnden Spendenbereitschaft für ihn in absehbarer Zeit keine Spenderlunge zur Verfügung gestanden hätte, entschlossen sich seine Eltern je einen Teil ihrer Lunge zu spenden. „Wir sind froh und dankbar, dass wir und die Ärzte Marius helfen konnten“, sagt Vater Lars Sch., „wenn es aber genügend Organspender in Deutschland geben würde, müssten die Ärzte nicht auf die Lebendspende zurück greifen.“ Die Eltern, die mit ihren beiden Kindern im Sauerland leben, hatten nicht einen Zweifel, ihrem Sohn mit ihrer Lebendspende zu helfen. „Wir möchten uns bei allen Ärzten und Pflegekräften für ihre Unterstützung, ihren Zuspruch bedanken, besonders bei dem Team der Intensivstation der Kinderklinik“, ergänzt Marius’ Mutter Anja Sch. Ihr Sohn ist nach der Operation schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt: Als Schalke-Fan verfolgt er derzeit den Start seiner Mannschaft in die Fußball-Bundesliga-Saison und war von dem Team der Station 67 auch zum Spiel Hannover 96 gegen Schalke 04 eingeladen worden. Auch das Fahrradfahren, das Marius vor der OP gehasst hatte – ihm fehlte einfach die Luft für sportliche Aktivitäten – macht ihm heute Spaß. „Jetzt kann ich mit meinen Eltern unterwegs sein“, sagt er.
Voraussetzungen für Lungenlebendspenden
Bei einer Lungen-Lebendspende braucht der Empfänger zwei Lungenlappen, wie Privatdozent Dr. Gregor Warnecke erläutert, Leiter des Transplantationsbereichs in der Klinik von Professor Haverich. Zudem müssen die Blutgruppen und die Größen der Lungenlappen für den Empfänger passen. Marius hatte Glück – seine Eltern erfüllten alle Voraussetzungen. Die Lebendspende Ende April 2012 war für die Klinik auch eine logistische Herausforderung, da die Ärzte in drei Operationssälen parallel arbeiten mussten. Im ersten Saal entnahmen die Chirurgen der Mutter einen Lungenunterlappen. Ein anderes Team implantierte dieses Teilorgan ihrem Sohn, während das dritte Ärzteteam im dritten Saal dem Vater einen Lungenlappen entnahm. „Die Operationen sind gut verlaufen, die Eltern konnten das Krankenhaus nach zehn Tagen verlassen“, sagt PD Dr. Warnecke. Marius’ Operation dauerte sechs Stunden.
„Auch bei Marius hat die Transplantation gut funktioniert. Wir konnten ihn schon zwei Tage nach der Operation extubieren“, ergänzte der Arzt. Und das, obwohl bei dem Jungen die Krankheit in den Wochen vor der Transplantation sich sehr schnell verschlimmert hatte. „Zum Zeitpunkt der Operation mussten wir Marius nicht nur künstlich beatmen, sondern er bedurfte schon einer externen Sauerstoffversorgung des Blutes durch eine Herz-Lungenmaschine auf der Intensivstation. Für ihn war die Transplantation die letzte Rettung.“
Was ist Mukoviszidose?
Die Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose genannt, ist eine bisher unheilbare Stoffwechselerkrankung. Allein in Deutschland leiden 8.000 bis 10.000 Kinder und junge Erwachsene an dieser häufigsten erblichen Stoffwechselerkrankung; vier Millionen Deutsche können die Krankheit vererben. Wenn beide Eltern Erbträger sind und den Gendefekt weitergeben, wird ihr Kind an Mukoviszidose erkranken. „Als Folge diese Gendefekts werden alle körpereigenen Sekrete eingedickt produziert“, erläutert Dr. Nicolaus Schwerk, Oberarzt der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie. „Ein zäher Schleim verklebt vor allem die Lunge, die schrittweise ihre Funktionsfähigkeit verliert.“ Die MHH-Kinderklinik gehört zu den größten Mukoviszidose-Zentren in Deutschland.
Kliniken in Los Angeles (USA) und Japan sind bislang die Zentren für Lungen-Lebendspende-Programme. Dank der deutlich besseren Spendenbereitschaft als in Deutschland ist das Programm in den USA eher rückläufig. In Japan sind in einem Zeitraum von zehn Jahren mehr als 70 Lungen-Lebendspenden durchgeführt worden. „Japan zeigt, dass die langfristigen Überlebensraten sehr gut sind“, erklärt PD Dr. Warnecke. Ein Grund dafür könnte die besondere immunologische Situation zwischen Spendern und Empfängern sein. Da das Kind die Hälfte des Erbgutes der Mutter und die Hälfte des Vaters in sich trägt, sind Abstoßungsreaktionen möglicherweise seltener. Die MHH untersucht diesen Aspekt im Rahmen ihrer Beteiligung am Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL). „Wir wollen auch Toleranzprotokolle erarbeiten, die dazu beitragen, eine Abstoßung des Organs zu verhindern.“ Als Integriertes Behandlungs- und Forschungszentrum Transplantation (IFB-Tx) weist die Hochschule eine besondere Expertise auf diesem Gebiet auf.
Professor Haverich warnt im Zusammenhang mit der ersten Lungen-Lebendspende in Deutschland vor zu großer Euphorie. „Die Behandlungsmethode wird immer nur einer sehr kleinen Gruppe von Patienten helfen können, die eine Spenderlunge brauchen“, betont er. Man müsse zwei passende Spender haben und die Risiken seien für sie sehr viel höher als etwa bei einer Nierenspende. „Besser wäre es, wir hätten ausreichend Spenderorgane.“ Daher appelliert Professor Haverich an die Menschen, trotz der Vorkommnisse in Göttingen und Regensburg einen Spenderausweis auszufüllen. „Die todkranken Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, haben keine Lobby – und keine andere Chance. In den meisten Fällen kann nur ein Spenderorgan ihr Leben retten.“
Lungentransplantationen in der MHH
Die MHH ist eines der größten Lungentransplantationszentren in der Welt. Seit 1988 werden an der MHH Lungen transplantiert. Bis Ende vergangenen Jahres waren es 1.313 Lungentransplantationen, allein 2011 führten die Ärzte der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie 132 Organverpflanzungen durch – davon elf Lungentransplantationen bei Kindern.
Am 31. Dezember 2011 standen in der MHH 190 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für eine Lungentransplantation.
Weitere Informationen erhalten Sie bei PD Dr. Gregor Warnecke, Telefon (0511) 532-6788, warnecke.gregor@mh-hannover.de.