Seltener Tag - Seltene Erkrankung

Am 29. Februar 2020 fand der 13. Internationale Tag der seltenen Erkrankungen statt. Dieser Tag wurde ins Leben gerufen, um die breite Öffentlichkeit, politische Entscheider und Forschende auf seltene Erkrankungen und die Interessen der Betroffenen aufmerksam zu machen. Natürlich gibt es auch unter den Lungenerkrankungen seltene Krankheiten, wie zum Beispiel Sarkoidose, Bronchiektasen oder Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. Wir möchten den diesjährigen Tag der seltenen Erkrankungen zum Anlass nehmen, um das Krankheitsbild der Primären Ciliären Dyskinesie (PCD) und das Kartagener Syndrom zu beleuchten.

Bei der primären Ciliären Dyskinesie (PCD) handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit, die die Beweglichkeit von Flimmerhärchen, auch Zilien genannt, beeinträchtigt. Flimmerhärchen finden sich auf den meisten menschlichen Körperzellen und sind dort in der Regel unbeweglich. Bewegliche Zilien befinden sich in den Atemwegen und in Hirnwasserräumen. Wenn die Flimmerhärchen in den Atemwegen durch die PCD in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, kann Schleim und anderes Material aus den Lungen nicht mehr abtransportiert werden, was zu Entzündungen führen kann. Betroffen leiden unter chronischen Nasennebenhöhlen- oder Mittelohrentzündungen.

Während der embryonalen Entwicklung steuert das Schlagmuster der Flimmerhärchen die Anordnung der inneren Organe. Ist das Schlagen der Flimmerhärchen durch die PCD gestört, kann es dazu kommen, dass die inneren Organe seitenverkehrt ausgebildet werden. Bei etwa 50% der PCD Patienten tritt diese spiegelverkehrte Anordnung, auch situs inversus genannt, auf. Dieser Spezialfall der PCD wird als Kartagener Syndrom bezeichnet.

Sven Weiboldt ist Betroffener und erhielt 2013 an der MHH die Diagnose PCD. Der Weg zu dieser Diagnose war langwierig und hatte viele Umwege. Bereits bei seiner Geburt bemerkten die Ärzte, dass etwas mit seiner Atmung nicht stimmte, führten dies aber auf verschlucktes Fruchtwasser zurück. Viele Jahre litt der heute 45-Jährige an Fieber, Schüttelfrost und wiederkehrenden Atemwegsinfekten. Immer wieder wurden ihm zur Behandlung der Symptome Antibiotika verschrieben, doch was die Ursache für seine Beschwerden war, blieb lange im Dunkeln. Insgesamt 6 Nasen-OPs wegen nachwachsender Polypen aufgrund von Entzündungen musste er über sich ergehen lassen und 2004 wurde ihm der untere linke Lungenlappen entnommen. Hausarzt und Hals-, Nasen-, Ohrenarzt hatten weiterhin keine Erklärung für die Erkrankungen von Sven Weiboldt und vermuteten Asthma, Bronchitis und Hausstauballergien. Erst als er 2013 durch Zufall von einem Spezialisten an der MHH untersucht wurde, bekam er endlich Gewissheit und die Diagnose PCD.

In Deutschland leben nur etwa 4.000 PCD-Patienten, dementsprechend gering ist das Wissen über diese Erkrankung bei niedergelassenen Ärzten. Es wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer der Erkrankten höher liegt, da die Diagnose, wie im Fall von Herrn Weiboldt, schwierig ist. PD Dr. Felix C. Ringshausen ist Oberarzt der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Lungenforschung. Sein Spezialgebiet ist die Behandlung von seltenen Lungenerkrankungen, unter anderem PCD. Auch er stellt immer wieder fest, dass die Diagnose von seltenen Erkrankungen ein langwieriger Prozess ist und sich häufig über Jahre hinzieht. „Vor allem für Allgemeinmediziner sind seltene Erkrankungen schwer zu erkennen,“ sagt Dr. Ringshausen und plädiert deshalb dafür, bei anhaltenden, ungeklärten Beschwerden immer einen Facharzt aufzusuchen und bei Verdacht weitere Spezialisten einzuschalten.

Die Diagnose hat Herr Weiboldt als Erleichterung wahrgenommen – nicht, weil die Erkrankung heilbar ist, sondern allein, weil er nun Gewissheit hatte. Gleichsam gingen mit der Diagnose aber auch Einschränkungen des täglichen Lebens einher, wie das Vermeiden von großen Menschenmengen oder das Tragen einer Atemmaske, um Ansteckungen zu vermeiden. Hilfe, wie er mit diesen Veränderungen umgehen kann, erhielt Herr Weiboldt auch online in Foren und beim Kartagener Syndrom und Primäre Ciliäre Dyskinesie e.V.. Susanne Böker ist zweite Vorsitzende der Patientenorganisation und selbst Mutter eines betroffenen Sohnes. Sie berichtet: „Es ist für Betroffene häufig nicht einfach ist, Informationen über seltene Erkrankungen von ihren Hausärzten zu erhalten. Ich rate deshalb immer zum Austausch der Patienten untereinander.“ Eine große Hilfe hierbei sind soziale Netzwerke wie Facebook, die die Kommunikation deutlich vereinfachen und beschleunigen. Eine von Betroffenen auf Facebook eingerichtete Gruppe hat mittlerweile 500 Mitglieder, die sich regelmäßig austauschen.

Der 1997 gegründete Selbsthilfeverein entwickelt sich ständig weiter und versucht so, Betroffene bestmöglich zu unterstützen. Das jährlich stattfindende Patiententreffen wurde um einen Workshop für Jugendliche erweitert. Susanne Böker weiß: „Junge Menschen beschäftigen andere Fragen und Sorgen als Erwachsene – beispielsweise welche Berufe mit der Erkrankung später einmal ergriffen werden können, oder auch das Thema Unfruchtbarkeit, die bei männlichen PCD-Patienten häufig auftrifft.“ Auch für Sven Weiboldt ist dies ein großes Thema. Der Einfluss der Kinderlosigkeit auf seine Beziehung und die Sorge, nicht am normalen Miteinander im Alltag teilhaben zu können, veranlasste Herrn Weiboldt dazu, sich auch psychologische Unterstützung bei einem Therapeuten zu suchen. Dies half ihm, die Diagnose und ihre Folgen zu verarbeiten.

Sowohl Sven Weiboldt als auch Susanne Böker berichten, dass Betroffene und Angehörige von Betroffenen mit seltenen Erkrankungen häufig besser informiert sind als niedergelassene Ärzte. Deshalb begrüßen sie das Anliegen des Tags der seltenen Erkrankungen. Beide wünschen sich, dass bei Diagnosestellungen auch seltene Erkrankungen wie PCD mehr in den Fokus rücken. Nach der Diagnose ist es wichtig, Betroffenen ausreichend Zeit zu widmen und Anlaufstellen für Fragen zu nennen. Frau Böker betont, wie wichtig es ist, Eltern ausreichend über Rechte und Möglichkeiten ihrer erkrankten Kinder zu informieren und auch in der Versorgung durch die Krankenkasse Klarheit und Transparenz zu schaffen. Der Tag der seltenen Erkrankungen soll auch genutzt werden, um die breite Öffentlichkeit über die Beeinträchtigungen von PCD-Patienten zu informieren und so für eine bessere Inklusion und weniger Ausgrenzung zu sorgen.

Als Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Lungenforschung untersucht Dr. Ringshausen neue Behandlungsmöglichkeiten und arbeitet mit Pharmaunternehmen an der Zulassung neuer Medikamente. „Von politischen Entscheidungsträgern erhoffe ich mir mehr Unterstützung bei der Erforschung von seltenen Erkrankungen, da diese auch Erkenntnisse für weiter verbreitete Volkskrankheiten bieten können,“ sagt Dr. Ringshausen. „Beschleunigte und vereinfachte Zulassungsverfahren könnten für forschende Pharmaunternehmen einen Anreiz bieten, sich noch mehr für seltene Erkrankungen wie die PCD zu engagieren. Auch Patienten mit seltenen Erkrankungen müssen gehört werden und Anlässe wie den Tag der seltenen Erkrankungen nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen.“

Um niedergelassene Ärzte für seltene Erkrankungen zu sensibilisieren, organisiert der Standort Hannover des Deutschen Zentrums für Lungenforschung am 04.03.2020 ein Expertenforum zu seltenen Lungenerkrankungen. Mehr Informationen hierzu finden Sie finden Sie hier auf unserer Homepage.

 

Text: BREATH/AB

Bild: BREATH

DZL Wissenschaftler und Oberarzt der Klinik für Pneumologie an der MHH PD Dr. Felix Ringshausen