Neue Erkenntnisse zur Bedeutung von Alpha1-Antitrypsin bei NSCLC

Die DZL Wissenschaftlerin Prof. Dr. Sabina Janciauskiene forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten auf dem Gebiet des Akute-Phase-Proteins Alpha-1-Antitrypsin (AAT). Seit dem Jahr 2011 leitet sie die Arbeitsgruppe Molekulare Pneumologie in der Klink für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover am DZL-Standort BREATH. In ihren aktuellen Arbeiten untersuchen sie und ihre Arbeitsgruppe die Interaktionen zwischen Entzündung, Zellwachstum und Akute-Phase-Proteinen, speziell Alpha-1-Antitrypsin, und deren Bedeutung für Progression und Therapieresponse beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom.

Die unterschiedlichen Arten des Lungenkarzinoms

Lungenkrebs tritt in zwei unterschiedlichen Arten auf: dem nicht-kleinzelligen und dem kleinzelligen Bronchialkarzinom. Das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC: non small cell lung cancer) macht 85 % der Fälle aus, das kleinzellige Bronchialkarzinom (SCLC) ist mit 15 % der Fälle deutlich seltener. Beim NSCLC unterscheidet man, entsprechend ihrer histologischen Charakteristika, das großzellige neuroendokrine Karzinom (large-cell neuroendocrine carcinoma (LCNEC)), das Plattenepithelkarzinom (squamous cell carcinoma (SQCC)) und das Adenokarzinom (ADC) [1]. Das Adenokarzinom ist die häufigste Form des NSCLC. Es macht 35-40% aller Lungenkrebsfälle aus und entwickelt sich aus Alveolarepithelzellen vom Typ II, die Schleim und andere Substanzen sezernieren. Das Adenokarzinom wird häufig bei Nichtrauchern beobachtet.

Späte Diagnose, schwierige Therapie

Lungenkrebs ist eine der häufigsten Krebsarten weltweit [2]. Da die meisten Patienten erst in späten Krebsstadien diagnostiziert werden, haben sie leider eine schlechte Prognose [3]. Beim fortgeschrittenen NSCLC im Stadium III beträgt die Gesamtüberlebensrate nach 5 Jahren etwa 26%, im Stadium IV lediglich 10 - 1% [4].

Abhängig vom Krebsstadium werden die Patienten einer OP, einer Bestrahlung, einer Chemotherapie und/oder einer gezielten Immuntherapie unterzogen [5]. Studien, die das Überleben unter Platin-basierter Standard-Chemotherapie im Vergleich zur Immuntherapie untersuchten, zeigen einen signifikanten Nutzen der Immuntherapie bei ausgewählten NSCLC Patienten, egal ob sie als First-Line- oder Second-Line-Therapie angewendet wurde. Allerdings profitieren nicht alle NSCLC-Patienten gleichermaßen von der Immuntherapie, lediglich 20-25% reagieren positiv. Warum die Patienten so unterschiedlich reagieren, ist bis heute ungeklärt.

Biomarker zeigen Therapieansprechen

Ein Ziel der Arbeitsgruppe um Prof. Janciauskiene ist die Identifizierung potentieller Biomarker, die helfen können, die Therapieresponse von Patienten vorherzusagen oder die passende Therapiesequenz oder Kombination aus Chemotherapie und Immuntherapie zu bestimmen.

Bislang wird der Erfolg einer Tumorbehandlung im CT nachverfolgt, allerdings ist eine makroskopische Veränderung der Tumormasse erst einige Wochen nach Therapiebeginn zu erwarten. Ein alternativer Ansatz ist die Untersuchung peripheren Blutes, das minimal-invasiv gewonnen werden kann und eine Quelle potentieller Biomarker darstellt. Je nachdem, ob eine Behandlung anschlägt oder nicht, könnte sich dies auf verschiedene Faktoren im Blut niederschlagen und so frühzeitig eine Therapieresponse anzeigen. 

Dementsprechend hat die Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Marc Schneider und seinen Kolleginnen und Kollegen aus Heidelberg in Blutproben von 50 NSCLC Patienten vor Therapiebeginn und kurz nach Beginn der Chemotherapie (Tag 7 und Tag 14) oder gezielter Therapie (Tag 1), Biomarker identifiziert, die mit dem CT-Anfangsbefund sowie den Folge-CTs korrelieren. Hierzu gehören spezielle microRNAs, Glycodelin, das Glutathione/Glutathiondisulfid-Gleichgewicht und der Apoptosemarker M65 (Cytokeratin 18), der die Tumormasse vor Therapiebeginn widerspiegelt. Zu jedem der 3 untersuchten Zeitpunkte konnten verschiedene Biomarker identifiziert werden, die mit der Therapieresponse korrelierten und eine Aussage über den Erfolg der Therapie direkt nach Therapiebeginn erlauben [6]. 

Vorhersage-Potential der Akute-Phase-Proteine

Auch die Konzentration der Akute-Phase-Proteine (APP) im Blut verändern sich bei der Entwicklung von Lungenkrebs. Obwohl diese Proteine unspezifische Entzündungsmarker darstellen, scheinen sie von klinischem Wert zu sein. Bisher weisen verschiedene Berichte darauf hin, dass einzelne APP eine grundlegende Wirkung auf die Krebsentstehung und auf die Immunreaktion haben. Der prognostische Wert der APP- Serumkonzentrationen beim NSCLC wurde bisher noch nicht untersucht. Deshalb wurden die Serumproben von 139 NSCLC-Patienten vor und nach der anti-PD-1 oder anti-PD-L1-Therapie gesammelt und untersucht, ob die Konzentrationen von Albumin (ALB), Alpha-1 Acidglycoprotein (AGP), Alpha1-Antitrypsin (AAT), Alpha2-Macroglobulin (A2M), Ceruloplasmin (CP), Haptoglobin (HP), Alpha1-Antichymotrypsin (ACT), Serumamyloid A (SAA), und High-Sensitivity C-Reactive Protein (hs-CRP) einen prognostischen Wert für die Vorhersage des Therapieerfolgs haben. Die multivariate Cox-Analyse der Serumspiegel und klinischen Parameter ergab, dass

  • höhere Konzentrationen an AGP, HP, AAT und CP, sowie niedrigere ALB-Konzentrationen vor Therapiebeginn voneinander unabhängige Anzeichen für eine schlechtere Prognose sind, und
  • die Kombination der Werte für AGP, HP, AAT, CP und ALB eine Klassifizierung der Patienten in Responder und Nicht-Responder erlaubt.

Nach Bestätigung der Daten an einem unabhängigen, größeren Kollektiv könnten diese APP klinisch relevante, prädiktive Marker für das Anschlagen einer gezielten Therapie beim NSCLC sein. Das große Potential der APP-Analyse liegt darin, dass sie eine nicht-invasive, zuverlässige Methode ist, die in allen klinischen Labors verfügbar ist [7].

Einfluss von Akute-Phase-Proteinen auf Tumore

In weiteren Arbeiten untersucht die Arbeitsgruppe die Wechselwirkung zwischen einer Entzündungsreaktion, dem angeborenem Immunsystem und dem Lipidmetabolismus bei der Progression von Lungenkrebs und einer Therapieresistenz. Besonders interessant ist der Einfluss der APP, wie AAT, auf die Interaktionen zwischen dem Tumor und Tumor-assoziierten Zellen (Abbildung 1).

Entzündungen, die durch bakterielle oder virale Infektionen oder durch Tabakrauch ausgelöst werden, erhöhen das Risiko für NSCLC. Darüber hinaus könnte eine intrinsische Entzündungsreaktion, ausgelöst durch den Krebs selbst, eine für das Tumorwachstum förderliche Mikroumgebung schaffen. Normalerweise haben Krebszellen einen im Vergleich zu gesunden Zellen veränderten Metabolismus. Unter anderem ist der Lipidmetabolismus in Krebszellen häufig derart verändert, dass es zur Akkumulation von Lipidtröpfchen kommt. Diese Zellorganellen spielen bei der Zellproliferation, Apoptose, dem Lipidmetabolismus, Stress, Immunität, Signaltransduktion und dem Proteintransport eine Rolle. Deshalb wurde der potenzielle Zusammenhang zwischen den Lipidtröpfchen und der Therapieresistenz in Lungenkrebszellmodellen untersucht. Dazu werden die Mechanismen und Folgen der Akkumulation von Lipidtröpfchen im Zusammenhang mit der Resistenz von Krebszellen gegen Apoptose und andere Formen des Zelltods untersucht.

Unter inflammatorischen Bedingungen exprimieren NSCLC selbst verschiedene APP, wie zum Beispiel AAT, und sekretieren diese Proteine in die Mikroumgebung. Ebenso interagieren exogene APP wie AAT mit Krebs- und Immunzellen und modulieren abhängig vom Aktivierungszustand der Zelle die Signaltransduktion und die Ausschüttung von pro- und anti-inflammatorischen Substanzen. 

AAT ist vor allem für die Lunge ein besonders wichtiges Protein. Raucher mit schwerem erblichen AAT-Mangel haben ein erhöhtes Risiko für eine früh einsetzende obstruktive Lungenerkrankung mit Emphysem. Obwohl Lungenkrebs auch mit einer Obstruktion der Luftwege und Emphysem einhergeht, scheinen Betroffene mit dem AAT-Mangel kein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs zu haben. Dies deutet auf bisher unentdeckte Funktionen von AAT und anderen APP bei der Tumorgenese. 

Erhöhte AAT-Spiegel verhindern Zelltod

Im Einklang mit den Ergebnissen anderer Forscher unterstützen diese Daten den Eindruck, dass– ob aufgrund einer gesteigerten Expression in der Tumorzelle oder der Aufnahme von extern – erhöhte AAT-Konzentrationen den Zelltod von Krebszellen verhindern können. Tatsächlich nehmen alle Säugerzellen konstitutiv AAT aus dem Intrazellularraum auf, so auch Krebszellen. Die Endozytose von AAT kann auf Wegen erfolgen, die nicht von Lipid-Rafts abhängen, der Clathrin-vermittelten Endozytose oder auf Wegen, die in Lipid-Rafts ablaufen, die die Caveolae-vermittelte Endozytose und die Flotilin-abhängige Endozytose einbeziehen [8]. Anzunehmen ist, dass die Aufnahme und der intrazelluläre Transport von AAT stark von der AAT-Konzentration und dem Aktivierungszustand der Zellen abhängt. Deshalb müssten die intrazelluläre Aufnahme und die Weiterverarbeitung von AAT und anderen APP in Krebszellen detailliert untersucht werden, um die Rolle von AAT bei der Tumorgenese besser zu verstehen.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass APP die Aktivität anderer Zellen in der Tumormikroumgebung modulieren können. Kürzlich wurde berichtet, dass AAT die Proliferation von Fibroblasten und die Produktion von Extrazellularmatrix stimulieren kann, sowie das Leukozytenprofil, das mit der Bereinigung der Entzündung und der Regeneration des Gewebes assoziiert ist, beeinflussen kann und die Makrophagenpolarisation in Richtung des pro-krebsfördernden M2-Phänotyps lenken kann [8].

Akute-Phase-Proteine beeinflussen den Krebs

Nach dem derzeitigen Wissenstand kann zusammengefasst werden, dass der Einfluss von AAT und anderen APP auf den Krebs direkt (auf die Krebszellen) oder indirekt (über mit den Krebszellen assoziierte Zellen) erfolgen kann. APP könnten eine pro- oder anti-Krebs-Immunreaktion des Körpers hervorrufen, was beim Entwerfen einer geeigneten Krebstherapie berücksichtigt werden sollte. In künftigen Arbeiten soll herausgefunden werden, ob spezielle APP zur Krebsentstehung beitragen oder diese widerspiegeln und sich deshalb als therapeutische Targets und/oder Biomarker eignen.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Rolle von Alpha1-Antitrypsin (AAT)   AAT ist beteiligt an der Immunregulation, am Lipidmetabolismus und an der Entwicklung und Wachstum von Krebszellen [9-19].

 

Text: AG Janciauskiene
Bilder: BREATH
Graphik: S. Wrenger

 

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[4]Goldstraw P, et al. The IASLC Lung Cancer Staging Project: Proposals for Revision of the TNM Stage Groupings in the Forthcoming (Eighth) Edition of the TNM Classification for Lung Cancer. J Thorac Oncol 2016: 11(1): 39-51.

[5] Zappa C, et al. Non-small cell lung cancer: current treatment and future advances. Transl Lung Cancer Res 2016: 5(3): 288-300.

[6] Janke F, et al. Novel Liquid Biomarker Panels for A Very Early Response Capturing of NSCLC Therapies in Advanced Stages. Cancers (Basel) 2020: 12(4).

[7] Schneider MA, et al. A panel of acute phase proteins as predictor for immunotherapy response in advanced NSCLC. Eur Respir J 2021: submitted.

[8] Janciauskiene S, et al. Potential Roles of Acute Phase Proteins in Cancer: Why Do Cancer Cells Produce or Take Up Exogenous Acute Phase Protein Alpha1-Antitrypsin? Front Oncol 2021: 11: 622076.

[9] Laurell CB. Is emphysema in alpha 1 -antitrypsin deficiency a result of autodigestion? Scand J Clin Lab Invest 1971: 28(1): 1-3.

[10] Ohlsson K, et al. In vivo interaction beween trypsin and some plasma proteins in relation to tolerance to intravenous infusion of trypsin in dog. Acta Chir Scand 1971: 137(2): 113-121.

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[18] Janciauskiene S, et al. Well-Known and Less Well-Known Functions of Alpha-1 Antitrypsin. Its Role in Chronic Obstructive Pulmonary Disease and Other Disease Developments. Ann Am Thorac Soc 2016: 13 Suppl 4: S280-288.

[19] Al-Omari M, et al. Acute-phase protein alpha1-antitrypsin inhibits neutrophil calpain I and induces random migration. Mol Med 2011: 17(9-10): 865-874.

Projektleitung: Janciauskiene, Sabina (Prof. Dr. rer. nat. Dr. pharm.) MHH Klinik für Pneumologie; Förderung: Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL), Biomedical Research in End-stage and Obstructive Lung Disease Hannover (BREATH)

 

 

Prof. Dr. rer. nat. Dr. pharm. Sabina Janciauskiene, Klinik für Pneumologie an der MHH, Pricipal Investigator im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) am Standort BREATH (Hannover)